usa & mexiko 2002 - im nordwesten (mexiko)

Nach einer gar nicht so schlechten Nacht im monotonen Brummen der Schiffsmotoren stehe ich auf und packe meinen Schlafsack und die Isomatte zusammen. Draussen auf Deck lasse ich mir den Wind um die Nase wehen. Es ist ein herrlicher Sonntagmorgen und die Sonne ist für 7.00 am Morgen schon erstaunlich stark. In dem kleinen Aufenthaltsraum gibt es gratis Kaffee und Corn Flakes. Dave und ich unterhalten uns über unsere bisherigen Motorradreisen. Er erzählt, dass ihm seine Motocrosserfahrungen aus vielen Rennen ihm beim Handeln der schweren BMW entgegenkommen. Für Südamerika hat er sich ein GPS-Gerät gekauft und die Möglichkeiten sind beeindruckend: man kann ein Höhenprofil seiner Reise sowie den Reiseverlauf abrufen und auch Karteninformationen sind enthalten.
Langsam tauchen die grünen sonnenbeschienenen Hügel des Festlandes auf. Um ca. 10.00 legen wir an, es ist sehr warm. Nachdem wir von der Fähre gefahren sind - es gab keine weitere Kontrolle - trennen sich unsere Wege: Dave in möchte in Richtung Süden Mexiko so schnell als möglich passieren.
Für mich geht es zum Copper Canyon, oder Barranca del Cobre, zunächst ca. 250 km nach Norden. Irgendwann muß ich nach Westen abbiegen, bis ich schließlich nach weiteren 400 km am Nordeingang des Copper Canyons ankommen werde. Um mich nach der langen Schiffsfahrt sachte an die "neue Welt" zu gewöhnen, beschließe ich, die Strecke nach Norden auf der mautpflichtigen Autobahn (15) zurückzulegen. Die Preise sind gesalzen: für die 230 km zahle ich 130 Pesos, also umgerechnet US$ 13. Etwa alle 100km gibt es eine Mautstelle. Dafür ist das Fahren auf den sehr guten Strassen durch den geringen Verkehr stressfrei. Die Landschaft ist eher hügelig denn bergig und den Haupterwerb bildet ganz offensichtlich die Landwirtschaft: wohin das Auge reicht sehe ich grüne Felder.
Am späten Nachmittag erreiche ich Ciudad Obregon. Auffallend ist schon jetzt, dass es hier auf dem Festland viel mehr Städte gibt, als auf der Baja. Von Ciudad Obregon geht es nach Westen über den Highway 12. Die richtige Abzweigung zu finden ist nicht ganz einfach, denn der Masstab meiner AAA-Karte ist zu klein, als dass die vielen kleinen Landstrassen und die kleinen Orte eingezeichnet sind. Auf der Baja hatte es dieses Problem nicht gegeben, denn dort musste ich eigentlich nur einer Strasse folgen.
Die Sonne ist schon am Untergehen und bevor ich mich hier in "the middle of nowhere" verfahre, beschließe ich, nach Cd Obregon zurückzufahren, dort ein Hotel zu nehmen und im Walmart, den ich am Stadtausgang gesehen hatte, eine bessere Karte zu kaufen. Dieses gestaltet sich jedoch schlicht unlösbar, denn die Mexikaner halten von Karten offenbar nicht viel: es gibt keine zu kaufen und niemand kann mir sagen, wo ich welche kaufen könnte. Da erinnere ich mich auch wieder an das, was Dave gesagt hatte: "Wenn Du einen Mexikaner nach dem Weg fragst, frage nach der Richtung und sag ihm den Namen der Stadt. Zeig ihm niemals eine Karte".
So musste ich also versuchen, meinen Weg mit der AAA-Karte zu finden. Leider kann ich kein günstigeres Hotel als das amerikanische Travelodge für 46$ finden, aber dafür habe ich genügend Kanäle für einen gemütlichen Fernsehabend.

Am nächsten Morgen breche ich sehr früh auf, um möglichst weit in Richtung Copper Canyon fahren zu können. Der Sonnenschein bleibt mein ständiger Begleiter. Es ist so schön, den vielen Kurven auf der bergigen Landstraße zu folgen und beim Durchfahren der wenigen kleinen Ortschaften zumindest einen kurzen Blick auf die Leute werfen zu können. Auch mit der AAA-Karte komme ich ganz gut zurecht, wenn ich alle Hinweise wie Himmelsrichtung, Größe der Strasse, Strassenschilder, etc. für die Streckenwahl mit einbeziehe. Notfalls frage ich nach der nächsten Stadt auf meinem Weg und arbeite mich so voran. Die Gegend auf dem Highway 12 ist sehr verlassen, dafür grüßen die entgegenkommenden Truckfahrer freundlich. Bunt dekorierte Friedhöfe nach dem Tag der TotenAuffallend sind die bunt und prunkvoll (oder kitschig) dekorierten Friedhöfe. Das muss mit dem Allerseelentag am 1. und 2. November zusammenhängen, an dem in ganz Mexiko der Toten gedacht wird und teilweise auch Nachtwache an den Gräbern gehalten wird.
Es liegen unheimlich viele tote Grillen auf den Strasse. Langsam aber stetig steigt die Straße auf eine Höhe von über 2.000 m an, die Landschaft wird immer alpiner. Es gibt viele Nadelbäume, deren Duft ich sehr genieße. Trotz der Höhe wird es jedoch nicht viel kälter, sondern bleibt mit ca. 20 Grad angenehm zum Motorradfahren. Der Zustand der Straßen ist sehr gut; ich wüsste nicht, ob er bei uns in den Alpen besser wäre. Durch die vielen Kurven und den geringen Verkehr wird die Fahrt zum Genuß und Mexiko steigt in meiner Gunst immer mehr. Ab und an ist die Landschaft sogar immer mal wieder geschmückt mit Kakteen. Ein bisschen erinnert alles an eine Fahrt durch den Yosemite-Nationalpark im Sommer.
Als ich die Grenze des Staates Sonora nach Chihuahua überquere, gibt es eine kleine Zollstation, die passierende Fahrzeuge auf korrekte Papiere prüft. Der Grund: in Sonora gibt es einfachere Importregeln für Fahrzeuge aus dem Ausland. Jedoch ist die Zollstation unbesetzt. Ich fahre langsam vorbei und höre einen schrillen Pfiff von der anderen Straßenseite. Der Zöllner, der gerade in einem lockeren Plausch ist und diesen offenbar nicht unterbechen will, winkt mich durch.
Beim nächsten Photostop muß ich durch eine Unachtsamkeit bei der Rückkehr auf die Straße das Motorrad wieder einmal sanft ablegen: Ich habe den 30 cm hohen Grad von der Straße auf den Seitenstreifen zu langsam angefahren und das Gleichgewicht verloren - stupido. Ich schaffe es jedoch, das Motorrad inklusive Koffern ohne fremde Hilfe aufzuheben; es ist gar nicht mal so schwierig. Nur die zwei Bags auf der Rückbank hatte ich entfernt.

Es ist bereits 15 Uhr und da die Orte immer kleiner werden und zum Teil auch kein Hotel haben, beschließe ich, in Maycoba zu bleiben, wo ich ein Hotel sehe. Das Dorf besteht aus nur einer Strasse. Es muss offenbar ein beliebter LKW-Rastplatz zu sein, denn von diesen wimmelt es hier. Der Haupterwerb scheint hier in der Holzverarbeitung zu liegen. Die Rezeptionistin, die gleichzeitig im angeschlossenen Lebensmittelgeschäft bedient, gibt mir das einzige Zimmer, das es gestattet, das Motorrad direkt davor zu parken. Hier muß schon Jahre niemand mehr gehaust haben - es riecht muffig und auf dem Boden liegen tausende von toten Fliegen. Dieses Zimmer ist das schlechteste des ganzen Trips und kostet auch noch 150 Pesos.
Beim Entpacken mache ich Bekanntschaft mit drei neugierigen Jungs im Alter von 5-9 Jahren. Sie sind fasziniert vom Motorrad und um ihnen eine Freude zu machen, lasse ich sie darauf sitzen. Da sie wie alle mexikanischen Jungs Fußball mögen, schenke ich Ihnen ein paar Bayern-München-Aufkleber, bevor ich mich zum Kochen zurückziehe. Zwei mexikanische Bayern-München-Fans auf meinem Motorrad Offenbar hat sich meine Ankunft schnell herumgesprochen, denn kurz darauf klopft es an der Türe und ein Mädchen fragt mich schüchtern, ob sie noch einen Aufkleber für Ihren kleinen Bruder haben können. Ich freue mich, dass ich dem Kleinen eine Freude machen kann. Als ich später auf den Treppen vor meinem Zimmer meine Gourmet-Ravioli esse, haben sich die Jungs alle die Aufkleber aufs T-Shirt geklebt - ein lustiger Anblick. Eigentlich fühle ich mich dann doch noch ganz wohl - trotz Muffel-Zimmer in dem kleinen schäbig wirkenden Kaff. Als ich wenig später jedoch einen Mann mit einem Revolver im Gürtel herumlaufen sehe, ändert sich das Gefühl jedoch schnell wieder. In der Nacht fährt bis 3 oder 4 ein Auto nach dem anderen an meinem Zimmer vorbei. Keine Ahnung, was hier los ist: ein Rennen ? Jedenfalls bin ich froh, am nächsten Morgen diese schreckliche Nacht überstanden zu haben und mein Motorrad noch vor der Türe stehen zu sehen.

Es ist 6.30. Ich stehe gleich nach dem Aufwachen auf, um einen frühen Start zu bekommen, damit ich am Nachmitag Creel, das Eingangstor zum Copper Canyon erreiche. Es ist eisig kalt, aber der Tag wird sonnig werden. Es riecht nach verbranntem Holz und auf den Feldern arbeiten bereits die Bauern - von wegen faule Mexikaner. Der Nebel löst sich langsam in den warmen Sonnenstrahlen auf. Durch die beißende Kälte bedingt, fahre ich gemächlich durch die kurvenreiche Bergstrecke. Wieder erinnert die Landschaft mich an die Landschaft Kaliforniens in der Nähe des Yosemite National Parks. Hütte in den Bergen in der Nähe des Copper Canyons Die kleinen Dörfer auf dem Weg strahlen eine sehr entspannende Ruhe aus - trotz der einfachen Lebensverhältnisse scheinen die Leute hier glücklich zu sein. In Yepachie sehe ich beim Tanken ein kleines Cafe, in dem ich mein Frühstück zu mir nehmen will. Von der Wirtin bekomme ich als einziger Gast ein individuelles Omelett nach meinen Wünschen gekocht.
Während ich warte, spiele ich mit dem kleinen ca. 4-jährigen Sohn, der sich über die Abwechslung freut. Auch hier läuft wie in vielen anderen mexikanischen Geschäften oder Restaurants permanent der Fernseher. Der Abschied tut mir fast leid, der Kleine möchte, dass ich noch bleibe. no vas! (gehe nicht !)
Auf den letzten 100 km vor Creel endet die Berglandschaft, ich befinde mich auf einer Hochebene und die Strassen verlaufen von nun ab sehr gerade. Mittlerweile ist es durch die Sonne sehr mild geworden und angenehm zu fahren. Die Landschaft ist jetzt sehr flach und die Vegetation sehr trocken - viele Gräser, einige Bäume und viele Felder. Gegen 15.30 erreiche ich Creel. Creel ist eine Kleinstadt, die 2.300 m hoch liegt und deren Holzhütten und ungeteerte Straßen Wildwestatmosphäre aufkommen lassen. Mir gefällt es hier auf Anhieb, wozu sicherlich auch die warme Sonne und die milden T-Shirt-Temperaturen um die 20 Grad beitragen.
Über meinen Reiseführer finde ich das Hotel Margarita im Zenrum, das unter Backpackern und Travellern sehr bekannt ist. Für 150 Pesos bekomme ich ein kleines und sauberes Zimmer. Das Frühstück und das Abendessen sind enthalten. Die Gegend hier ist ein El Dorado für Offroad-Fahrer und entsprechend viele sehe ich hier vollkommen dreckverspritzt durch die Strassen fahren. So treffe ich hier auch eine amerikanische Reisegruppe von 10 Leuten, die alle auf KLRs unterwegs sind. Den Nachmittag verbringe ich in der herbstlich wirkenden Sonne. Dabei lerne ich Laura aus Cuahantemoc kennen. Sie ist sehr nett und überraschenderweise kann ich oberflächlich kaum große Kulturunterschiede feststellen. Sie ist Lehrerin und spricht nur Spanisch, für mich also ideal, um mein immer noch ziemlich gebrochenes Spanisch ein wenig aufzupäppeln. Später treffen wir noch ihre Freundin, die sich hier mit Juan einem begeisterten Offroader (BMW F650 GS) getroffen hat. Er lädt mich zu sich nach Mexiko City ein und bietet mir an, mich bei Problemen mit meiner KLR - er kennt die Maschine aus dem FF - jederzeit zu unterstützen.
Auffallend sind hier die vielen Indigenas, die Tarahumeras, die in den Bergen leben, aber in der Stadt versuchen, sich mit dem Verkauf von Kunstgegenständen und handwerklichen Dingen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gegen Abend verabschiede ich mich von Laura, die zurück nach Cuahantemoc - das kann kein Mensch aussprechen - fährt. Wir versprechen uns, über Email miteinander in Kontakt zu bleiben.
Das Abendessen in der kleinen, aber urgemütlichen Küche ist sehr nett. An den zwei Tischen versammeln sich alle Gäste. Von kanadischen Rentnern, die durch die ganze Welt ziehen bis zu jungen Backpackern aus Europa herrscht hier eine internationale und sehr lockere Atmosphäre. Am nächsten Tag plane ich die Fahrt nach Batopilas, eine Kleinstadt auf dem Grund des Copper Canyons ca. 150 km von Creel entfernt. Um dorthin zu gelangen gibt es eine unheimlich schöne und kurvige Bergstrecke auf Asphalt, bis man noch weitere 80 km auf einer teilweise sehr engen und steilen Schotterpiste hinab in den Canyon zu bewältigen hat - Schwerstarbeit.

Der Copper Canyon ist ca. 200m tiefer als der Grand Canyon in Arizona und auch von der Ausdehnung ca. 4,5 mal so groß. Dennoch erscheint mir der Copper Canyon nicht so beeindruckend und schön wie der Grand Canyon. Das liegt vielleicht mit daran, das es nicht die gut ausgebaute Infrastruktur wie in den USA gibt, die den Canyon in seiner ganzen Schönheit erschließt. Ein weiterer Grund könnte sein, dass ich nicht den Blick habe, den die meisten anderen Copper-Canyon-Reisenden haben, denn sie erschließen den Copper Canyon über eine ca. dreistündige Bahnfahrt, die in Los Mochis an der Küste beginnt und über die Kontinentalscheide zwischen den Gipfeln der Sierra Madre hindurch zur Hochbene von Chihuahua führt. Der Blick hinab in den Copper Canyon muß dort wirklich atemberaubend sein.
Es ist in Creel sehr kalt an diesem Morgen und ich erfahre von Tim, der der 10-köpfigen KLR-Truppe angehört, dass sie heute auch nach Batopilas fahren. Eine amerikanische Reisegruppe auf KLRs Ironischerweise ist Tim, der Gründer von Happy Trail, einer Firma für Motorradausstattung, von denen ich meine Crashbars, das Skidplate sowie die Racks zur Befestigung meiner Aluminum Koffer gekauft habe. Ich zeige ihm meine, vom Unfall verbogenen Crashbars und er verspricht mir netterweise eine kostenlose Reparatur, wenn ich sie einschicke. Die Offroadfahrt nach Batopilas ist ein Supererlebnis, aber auch nicht ganz ungefährlich. Schotterpiste hinab in den Copper Canyon Die Aussicht in die grünbewachsenen Schluchten ist atemberaubend. Gleichzeitig verlangt der Abstieg auf den steil abfallenden Schotterpisten, die in Serpentinen in den Canyon führen, höchste Konzentration.
Unten im Tal führt der Weg den Fluß entlang, steigt aber auch teilweise wieder auf mehrere 100m über dem Schluchtgrund an. Der Weg ist sehr schmal und die entgegenkommenden Truckfahrer kümmern sich nicht groß um uns Motorradfahrer. Man braucht teilweise schon Glück, dass ein Truck auf dem engen Trail nicht gerade am engsten Stück hinter der Kurve auftaucht. Aufatmen nach dem schwierigen Überqueren einer halbverfallenen Brücke Gepaart mit den zum Teil sehr groben Felsbrocken auf der Strecke steht mir der Adrenalinspiegel oft genauso hoch wie der Schweiß in meinen Motorradstiefeln.
Gegen 18 Uhr komme ich in Batopilas an, eine ehemalige Bergbaustadt, die sich auf einer Länge von 1,5 km am gleichnamigen Fluß in dem sehr engen Tal erstreckt. Batopilas ist eine sehr freundliche Stadt und das subtropische Klima lässt ohne weiteres Palmen und Zitrusbäume wachsen. Die historischen Gebäude rund um den Zocalo strahlen eine nette Atmosphäre aus. Für 150 Pesos finde ich ein nettes und sauberes Zimmer in einem zentralen Hotel. Den Abend verbringe ich mit der KLR-Truppe auf der Terrasse einer sympathischen Bar und es ist erstaunlich, dass man hier bis spät in die Nacht mit dem T-Shirt sitzen kann, während es nur 150 km entfernt in Creel nachts gefriert.

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