usa & mexiko 2002 - golfküste (mexiko)

Meine Planung für den Rest der Reise ist nun aufgrund des Zeitmangels sehr konkret geworden: als nächstes möchte ich den Staat Chiapas besuchen, der nach Aussagen vieler aufgrund der Hochebenen und der Regenwälder einer der schönsten Staaten Mexikos überhaupt sein soll. Dort möchte ich mir die sehr bekannten Ruinen von Palenque anschauen sowie die Stadt San Cristobal de la Casas und einige andere Sehenswürdigkeiten u.a. die Cascadas Agua Azul, angeblich besonders spektakulär kaskadierende Wasserfälle. Chiapas wird aufgrund der vorangeschrittenen Zeit der östlichste Punkt in Mexiko werden, den ich erreichen werde; für Yucatan und Campeche reicht die Zeit leider nicht mehr. Von Palenque aus plane ich über die Golfküste zurückzufahren und dann im zentralen Hochland eine Tour durch einige alte Kolonialstädte zurück in die USA zu fahren.
Die heutige Etappe soll mich von Oaxaca aus nach Osten bis nach Tehuantepec führen, in ein paar Stunden machbar. Deshalb beginne ich die Fahrt nach einem ausgiebigen Frühstück recht spät und kann mich so ausgiebig von dem liebgewonnenen Oaxaca verabschieden. Die Zeit reicht auch für einen frühen Stopp in der selbsternannten Hauptstadt des Mezcal Matatlan einige Kilometer außerhalb von Oaxaca. Dort lasse ich mich von einer netten und sehr freundlichen Mexikanerin dazu überreden, zwei Flaschen Mezcal mitzunehmen und in meine übervollen Taschen zu quetschen. Leider muss ich dafür den Ausflug nach Mitla ausfallen lassen, bei dem man das Leben der indigenen Bevölkerung kennen lernen, Ausgrabungsstätten bei Yagul und den 2.000 Jahre alten Riesenbaum mit einem Umfang von fast 40 m besichtigen kann.
Die Fahrt nach Tehuantepec ist durch den stetigen Seitenwind nicht sehr angenehm, was aber auch an den drei Militärkontrollen entlang des Weges liegt, die es zu passieren gilt. Tehuantepec liegt am Isthmus von Tehuantepec, dem schmalsten Landgrat Mexikos, wo sich die beiden Höhenrücken der Sierra Madre vereinigen und als eine Bergkette bis weiter nach Südamerika ziehen. Dort gehen sie in die Anden über. Am Isthmus ist der Golf und der Pazifik nur ca. 200 km auseinander. Dadurch erklärt sich der ständige Wind sowie die Namen einiger Orte entlang des Isthmus: Ventosa etc. Mit dem Wind soll ich später noch einige unliebsame Erfahrungen machen. Ansonsten ist Tehuantepec nicht weiter erwähnenswert und der Halt hier dient nur zur Übernachtung.
Der nächste Morgen bringt wieder Sonnenschein mit sich. Heute möchte ich San Cristobal de las Casas erreichen. Auf dem Weg zwischen Tuxtla Gutierrez und San Cristobal die las Casas möchte ich mir noch den Canon del Sumidero anschauen, eine Schlucht, deren Felswände an manchen Stellen fast 1400m hoch sind und durch die der Rio Grijalva fließt. Eine Bootsfahrt durch die Schlucht soll ein ganz besonderes Erlebnis sein. Die Fahrt ist zunächst sehr angenehm mit viel Sonne aber auch viel Wind, der hier nur aufzuhören scheint, wenn die Welt untergeht. Noch am Morgen überquere ich die Grenze nach Chiapas. Wie bereits erwähnt auch deshalb ein besonders lohnenswertes Reisziel, da es hier neben im Dschungel versteckter Ruinen und tropischer Vegetation auch gleichzeitig einen 4.000m hohen Vulkan und schroffe Berglandschaft gibt. In Anbetracht dessen schrecken mich auch die Warnungen über die aufständischen Zapatisten nicht ab, zumal mein Email-Reiseratgeber Sjoerd hier schon oft mit dem Motorrad durchgefahren ist ohne jemals irgendwelche Probleme zu haben.
Direkt nach der Grenze führt die Straße in die Berge und der ständig blasende Wind wird immer stärker. Scheinbar wird er nach dem Düsenprinizp durch die Täler und Schluchten verstärkt. Nach einer Kurve dann ein unglaublicher Anblick: ein großer LKW liegt mit Anhänger umgestürzt in der Kurve, und der Fahrer sitzt bemitleidenswert, den Kopf in die Hände gestützt auf einem Stein und wartet auf Hilfe. Einige Kurven weiter nimmt die Windstärke dramatische Formen an, als mir ein plötzlicher Windstoß das Vorderrad um 10 cm versetzt. Ich beginne mir ein paar Sorgen zu machen, fahre aber zunächst weiter. Dann hinter der nächsten Kurve ist es soweit: ein gewaltiger Windstoß stoppt mich. Mir ist es als wäre ich gegen eine Wand gefahren und ich kann gerade noch neben der Seitenplanke anhalten. Der nächste Windstoß jedoch drückt mich samt Motorrad in die Leitplanke und ich habe Mühe das Motorrad einigermaßen sanft auf der Planke abzulegen - so was ist mir noch nie passiert. Ich stehe fassungslos da. Von dem Abhang auf der anderen Straßenseite fliegen erbsengroße Steine waagerecht durch die Luft, als würden für sie die Gesetze der Schwerkraft nicht gelten. Ich behalte meinen Helm auf. Ich habe kaum eine Chance, das Motorrad gegen den Wind aufzuheben. Ein Versuch scheitert kläglich: nachdem ich es geschafft hatte, das Motorrad von der Leitplanke aus aufzurichten und ca. drei Meter rückwärts aus der Kurve und vom Wind weg zu rollen, bläst mich der nächste Windstoß mit solch gewaltiger Kraft samt Motorrad um, mit dem Erfolg, daß das Motorrad nun mitten auf der Straße in der Kurve liegt. Unglaublich dieses Naturschauspiel: trotz Sonnenschein und fast wolkenfreiem Himmel  dieser Sturm. Zum Glück ist nicht viel Verkehr, aber einige andere Autos und LKWs warten nun vor der Kurve selbst auf Besserung.  Ein Autofahrer hält an um mir zu helfen, kann aber nichts ausrichten, da er keine Jacke anhat und im Steinhagel nun mehr damit beschäftigt ist, sich selbst zu schützen, als mir unter die Arme greifen zu können - auch zu seinem Auto kann er nun nicht zurück.
Letztendlich drehe ich das Motorrad in Panik auf dem Boden um die eigene Achse und richte es mit einer gewaltigen Anstrengung langsam auf, denn ich sehe Benzin aus dem Tank laufen. Nun kann mir auch mein hilfreicher Kollege besser helfen, da wir es vom Wind abgewandt gemeinsam Zentimeter für Zentimeter schieben bzw. das Gefälle hinab rollen lassen können - gemeinsam gegen das Motorrad gestützt und mit ständig gezogener Bremse. Uns ganz aus dem Wind zu manövrieren schaffen wir nicht, aber zumindest kann man nun leichter das Motorrad aufrecht halten. Der Wind wirde erst nach ca. 1,5 Stunden etwas besser und ich beschließe auf diesem Weg nicht weiterzufahren - in eine ähnliche Situation will ich keineswegs noch mal geraten. So werde ich auch aufgrund des Zeitmangels schweren Herzens auf San Cristobal de las Casas und Palenque verzichten müssen und über Oaxaca den Rückzug antreten. Leider war das Auto meines Helfers in Mitleidenschaft gezogen, denn ein herumfliegender Stein hatte seine Rückscheibe zerdeppert. Gegen Abend erreiche ich Juchitan, das nur ca. 20 km von meinem heutigen Startpunkt Tehuantepec entfernt liegt und ebenfalls nicht weiter erwähnenswert ist. Bemerkenswert ist an dieser Stadt, dass hier die Frauen im Gegensatz zum traditionellen Frauenrolle politisch recht viel zu sagen haben. Den Abend verbringe ich am ziemlich weitläufigen Zocalo wo nachmittags ein großer Markt stattgefunden hatte. Gegen Abend versammeln sich die Mexikaner an den zahlreichen Grillständen rund um den Zocalo, wo man bis spät in die Nacht sitzt und diskutiert.

ruinen nahe in oaxaca Eigentlich bin ich gar nicht so traurig über den vom Wind herbeigeführten Abbruch meiner Fahrt nach Chiapas, so sehe ich Oaxaca noch einmal und habe etwas mehr Zeit bei meiner Rückreise durch das zentrale Mexiko. Leider ist im Posada Margerita kein Zimmer mehr für mich frei. So versuche ich es im ebenfalls in meinem reiseführer empfohlenen El Principal, was einen großen und sehr schönen nach oben offenen Innenhof hat. Das einfach und saubere Zimmer kostet zwar 250 Pesos, ist den Preis jedoch wert, da ich auch hier mein Motorrad im Innenhof parken kann. Die sehr nette Rezeptionistin Catarin bringt mir zudem noch ein bisschen Spanisch bei, während ich Ihr im Gegenzug mit Ihrem Englisch ein wenig helfe. catarin in oaxaca Bemerkenswert und für uneingeweihte schwer verständlich an Mexiko ist auch der Totenkult, der mir in Oaxaca in Form von Kunst am stärksten auffällt. Hintergrund ist der Tag der Toten, der in Mexiko am 2.November gefeiert wird. Es ist einer der höchsten Feiertage in Mexiko. Und entspricht bei uns dem katholische Allerseelen. Hier in Mexiko ist er allerdings anstatt ein Trauertag eher ein Grund zur Freude: Die Toten kehren für einen Tag an den Ort zurück, an dem sie gelebt haben und besuchen ihre Verwandten, von denen sie in allen Ehren empfangen und bewirtet werden. Anfänglich noch bedächtig und ruhig wird die Begegnung später zu einem ausgelassenen Fest, es wird gelacht getrunken und getanzt und später , geleitet man die Seelen auf die Gräber zurück, wo man gemeinsam betet und wacht, um Schlag Mitternacht Abschied zu nehmen bis zum nächsten Jahr. In Oaxaca sieht man Bilder mit Skeletten, die bunte Kleider tragen und tanzen oder kleine bis manngroße Skelette, deren Knochen aus Holz geschnitzt sind oder Skelette in Puppenform wieder mit bunten Kleider. Mir persönlich gefällt dieser Brauch gut: Er zeigt , dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist und die Toten nicht so fern. ein friedhof nahe oaxaca

Die heutige Etappe soll mich an die Golfküste führen und ich breche um 9.00 auf , um mein Ziel Tlacotalpan zu erreichen. Tlacotalpan soll ein schönes Dorf mit einem netten Dorfzentrum und schöner Kathedrale sein. Diese Fahrt soll eine der abwechslungsreichsten des ganzen Trips werden, sowohl klimatisch als auch kulturell. Es ist ein ruhiger Sonntag morgen und gleich außerhalb de Stadt führt die Straße 175 in die Berge und steigt recht schnell an, so dass es ziemlich frisch wird. Es gibt kaum Verkehr und das Fahren über die kurvenreichen Bergstrassen macht so richtig spaß, obwohl man durch die zum Teil schon sehr engen Kurven nur langsam vorankommt. Bei der Abfahrt sind immer mehr Farne zu sehen und in den Sonnenabgewandten Kurven ist die Straße sehr feucht. Es wird wärmer und immer tropischer. Fast auf Meereshöhe ist es dann sehr schwül und wäre es Sommer hätte ich wohl den einen oder anderen Schauer abbekommen. Der Straßenzustand ist der schlechteste der gesamten Reise, ich umfahre helmgroße Schlaglöcher, die ich eigentlich schon während der ganzen Reise erwartet hatte. So aber kann ich mich insgesamt nicht beklagen, denn alles in allem war der Straßenzustand meistens sehr gut gewesen. In der Nachmittagssonne ereiche ich Tlacotalpan und finde ein zentrales Hotel im Zentrum, das sich aber als das zweitschlechteste des gesamten Trips herausstellen soll. Es liegt direkt am Zocalo und ein Filmteam ist gerade dabei in der nebenan liegenden historischen Apotheke zu filmen. Ich beeile mich, meine Sachen auf das Zimmer zu bringen, um dem Spektakel beim Abendessen von einem Tische in der gut gefüllten Bars gegenüber des Hotels zuzuschauen. Als ich mich gerade setzen will werde ich von einer Gruppe bereits gut abgefüllter Mexikaner zum Bier eingeladen und sage nicht nein. Da aber recht oft die Worte Mafia und Drogen fallen und einer mir mitteilt, dass ihm mein Motorrad gut gefällt, überkommt mich ein mulmiges Gefühl und ich setze mich ziemlich schnell unauffällig ab. Nach dem Abendessen setze ich mich an den Zocalo und wie mir Frank, der Deutsche aus Zacapu erzählt hatte, ist es tatsächlich Brauch, am Sonntag dort einen Tanzabend zu veranstalten, damit die Alleinstehenden Gelegenheit haben, einen Partner zu finden. Jedoch gibt es hier nur wenige Leute, die tanzen, aber es ist nett anzuschauen, wie ein ca. 70-jähriger eine ebenso alte Frau zum Tanz auffordert und auf alle Fälle eine elegantere Figur abgibt als ich es jemals könnte. Die Nacht ist schrecklich: das Zimmer und das Bettzeug riecht muffig, an der Wand sehe ich ein paar Streifen Blut und ich frage mich, ob hier schon jemand ermordet worden sei. Mitten in der Nacht wache ich von einem Summen auf, das klingt, als ob ein elektrisches Gerät schlecht eingesteckt worden war. Als ich dem Geräusch auf den Grund gehe, sehe ich einen riesigen Käfer, den ich dann mit schlechtem Gewissen mit einem meiner Kissen zum Schweigen bringen muss.